Hochkarätige Journalistin im Austausch mit hochinteressiertem Publikum
Soroptimist International (SI) Lauterbach-Vogelsberg hatte für den Abend im Posthotel Johannesberg eine Lesung angekündigt, aber Sabine Adler gestaltete den Abend über und aus ihrem Buch „Die Ukraine und wir“ zu einer Mischung aus Vortrag und Gespräch. Sowohl mit SI Präsidentin Dr. Barbara Peters, deren Begrüßung und Vorstellung der ausgezeichneten Korrespondentin und Osteuropa-Expertin des Deutschlandfunks auch schon in einer ersten Frage an Sabine Adler mündete, als auch mit dem interessierten Publikum, das der Autorin konzentriert folgte, so dass kein Mucks im Saal zu hören war.
Adlers langjähriger Aufenthalt in Osteuropa und ihr klarer, analytischer Stil eines Journalismus`, der im Rundfunk zuhause ist, machen sie zu einer Vortragenden, deren Stimme, Klugheit und Kompetenz eine Reichweite mit großer Tiefe erlangten. So wurde ihre Antwort auf Peters erste Frage – „Frau Adler, wie hätten wir den Krieg verhindern können?“ – zu einem längeren Referat über Deutschlands Versagen der letzten Jahrzehnte - einer Schlussfolgerung, die sich auch im Untertitel ihres Buches niedergeschlagen hat. Dennoch bejahte Adler die Frage nicht, sondern differenzierte ihre Antwort: Nein, Deutschland hätte den Krieg nicht verhindern können; habe ihn in aber in diesem Ausmaß kommen sehen können, und habe entscheidende Stellschrauben im Politik-Geschehen der letzten Jahrzehnte in die falsche Richtung gedreht.
Adlers Analyse ist dabei detailliert, kenntnisreich und auch von bitterer Selbsterfahrung geprägt: So berichtete sie 2014 vom Maidan in Kiew und musste an acht Leichen vorbei fliehen, um dem Beschuss der Demonstranten durch Scharfschützen zu entkommen. Über 100 Menschen kamen in dieser Nacht zu Tode. Putin nannte die dem Maidan folgenden Ereignisse „Putsch“ und nutzte diese Propaganda für die Besetzung der Krim. Adler kann Putins Darstellung aber als Lüge und pure politisch-militärische Strategie demaskieren: die Ukraine hatte demokratisch ein Übergangs-Parlament gewählt. Wie reagierte Deutschland? Mit harmlosen Sanktionen gegen 23 Personen, die Putin ermunterten, seine Strategie weiterzuverfolgen. In Deutschland selbst wurde der Krim-Krieg als „Konflikt“ wahrgenommen – ein Euphemismus, der verdeckte, dass ein Drittel der Krim-Bevölkerung floh.
Im Juli 2021 erklärte Putin öffentlich, dass die Ukraine keine Nation sei, ukrainisch keine eigene Sprache und lediglich das „kleine Russland“. Der als Pflichtlektüre für das russische Militär verschriftlichte Vortrag ging einer Steigerung der Manövertätigkeit voraus, und mit dem von Putin propagandierten „Hilferuf“ aus dem Donbass – am 21.2. 2022 als „Volksrepubliken Donezk und Luhansk“ Russland zugehörig erklärt – wusste die Welt, Russland wird die Ukraine überfallen.
Diesen militärisch-politischen Strang der Abläufe katalysierte ein wirtschaftlicher: Nord-Stream 1 und 2 wurden von der jeweiligen deutschen Regierung vorangetrieben, gegen alle Warnungen aus Polen, der Ukraine, den USA. So konnte Putin mit den Milliarden-Einnahmen aus diesen Geschäften seit 2000 den Aufbau einer darniederliegenden Armee finanzieren und rüstete sie zu einer Bedrohungskulisse auf, so Adler.
„Kann die Ukraine gewinnen?“ lautete eine Frage aus dem Publikum, die Adler entschieden beantwortete: Sie wünsche einen Sieg der Ukraine, damit nicht das Terrorregime eines Diktators gewinne. 10 Millionen Menschen, ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung, hat bereits das Land verlassen, eine genaue Zahl der Toten sei nicht bekannt. Wie ein Friedensschluss aussehen könne, so Adler, habe Selenskyj bereits klargemacht: das entscheide allein das ukrainische Volk.
Auf die Fragen, ob der Westen durch seine Handlungen Putin nicht zusätzlich provozieren und so der Krieg wohlmöglich noch weiter eskalieren könne, erläuterte Adler, dass Putin alle Zusagen gebrochen habe und die Welt belüge. Einen Kriegstreiber, so Adler, könne man nicht dadurch aufhalten, indem man ihm entgegenkäme. Zudem gelten Signale der Dialogbereitschaft, des „sich-in-den-anderen-Hineinversetzens“ in Russland als Schwäche, so dass sich im Umgang mit diesem Krieg auch eine riesige kulturelle Kluft offenbare.
Zum Abschluss eröffnete Adler noch einer Perspektive für das offensichtlich nicht nur interessierte, sondern auch besorgte Publikum. Man solle nicht in „Kassandra-Stimmung“ verfallen. Die nächsten Jahre würden schwer und teuer, aber sie bedrohten nicht unser Leben. Wir sollten uns nicht „kirre machen lassen“, denn ein gegenseitiges Zerfleischen des Westens sei genau Putins Ziel. Zum anderen empfiehlt sie die weiter angestrengte Suche nach einem möglichen Verhandlungs- und Vermittlungspartnerland, sowie Hilfe für derjenigen, die geflohen seien. „Wir sind ein wohlhabendes Land, wir sind nicht hilf- und machtlos.“
Bei der Verabschiedung durch SI-Präsidentin Peters verriet Adler schließlich, dass sie mit der Fahrt nach Hessen eine weitere Reise angetreten habe als eigentlich mit ihrem Verlag verabredet. Sie habe das Projekt „Nie wieder Krieg!“ kennenlernen wollen – es sei eine großartige Initiative, die sie davon überzeugt habe, bis nach Lauterbach zu fahren: „Der Weg bis hierher hat sich gelohnt!“ - eine Aussage, die für alle Beteiligten an diesem lehr- und informationsreichen Abend galt.
Das SI-Projekt „Nie wieder Krieg!“ wird vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert. Alle weiteren Informationen und Termine des Rahmenprogramms unter www.niewiederkrieg.net
Foto: SI/Deibel